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kurzgeschichten

Soundtrackstory III – ein asiatisches Requiem

Diese Frau war eine Herausforderung. Sie ließ mich nicht los, als habe sie die Kontrolle über meine Gedanken erlangt; sie spielte damit, zog abwechselnd an einem und dann an einem anderen Strang, als würde sie stricken – bunte Gedanken stricken.

Ich ging auf die Toilette und wusch mein Gesicht. Im flackernden Neonlicht wirkte mein Spiegelbild alt und leer, wie eine faltige Hülle, die in einen Armanianzug hineingegossen wurde. Es war, als würde ich durch mich hindurch sehen. Mein Blick sprang hin und her, wie ein Ping-Pong-Ball wurde er vom Spiegel an die milchige Front der Toilettentür geschleudert. Ich glaube, eine so verdammt edle Klotür hatte ich noch nie gesehen. Der Griff glänzte golden und erst wenn man die Verriegelung drehte, änderte sich die Front von einem klaren Glas in trübe Milchlake.

Die Handflächen auf die Wangen gepresst, strich ich mein Gesicht glatt, bügelte diese Lederhaut, die aufgeschwemmt war von zu viel Nikotin und Alkohol. Ich zog die Augenpartie nach hinten, so wie man es macht, möchte man den Ausdruck eines Asiaten nachahmen. Ich gab keinen besonders guten Asiaten ab, schon allein wegen der kohligen Augenringe.

Als ich an die Bar zurückkam, war sie verschwunden und irgendwie hatte ich das erwartet. Es passte in ihr Muster, in dieses undurchschaubare Mandala. Nur das Cocktailglas mit der von kleinen Kratern übersäten Olive stand noch da. Ich sah ihre Fingerabdrücke, die sie auf den Glaswänden hinterlassen hatte. Der Kellner polierte gerade irgendetwas, lächelte und nickte in Richtung ihres Platzes, an dem sie gesessen hatte. Auf der Serviette schienen mir rote Lettern entgegen, wahrscheinlich Lippenstift.

 

Das Taxi brachte mich zu der Adresse, die sie auf der Serviette hinterlassen hatte: ein großer, grauer Betonklotz mit aus den Fenstern ragenden grün-lackierten Klimaanlagen. Ein Haus wie das andere. Doch bei diesem stand die Tür offen und ich war erleichtert, denn die unzähligen Klingelschilder durchzusehen, hätte meinen Verstand in diesem Moment überfordert. Ich war nicht mehr fähig, darüber nachzudenken, wo ich war und was ich vielleicht gerade im Inbegriff war zu tun. Ich ging einfach durch diese Tür und folgte der Musik – Pianoballaden, ähnlich wie die in der Hotelbar –, die sich auftat, als ich still vor dem Klotz stand. Sie schien aus einem der oberen Stockwerke nach unten zu dringen.

Im Treppenhaus roch es nach Fisch. Der Aufzug war defekt, aber es verwunderte mich nicht. Ich stieg die Treppen hinauf, als wüsste ich genau, wohin ich gehen müsste, als würde ich selbst seit Jahren hier wohnen. Jedoch röchelte ich stark, als ich im fünften Stock ankam, wie ein Kettenraucher, aber war ich doch eigentlich seit Jahren gut in Form, trotz des Nikotins. Mit jedem Schritt schwanden meine Kräfte ein kleines Stück und ich schob es auf den Alkohol.

Ich erreichte den fünften Stock und wieder stand eine Tür offen. Am Klingelschild war kein Name angebracht, aber hier musste ich richtig sein, allein wegen der Balladen. Als ich eintrat, breitete sich der volle Klang der Musik aus. Es war eine kleine Wohnung, nur ein Zimmer mit einem kleinen Bett, einer Kochzeile und einem Regal, in der die Stereoanlage stand. Eine weitere Tür, hinter der sich wahrscheinlich das Bad verbarg, war geschlossen. Ich schloss die Wohnungstür ebenso, setzte mich auf das Bett und wartete. Ich dachte keine Minute daran, dass ich riesen Ärger bekommen würde, wenn das nicht Kates Wohnung war, denn ich zweifelte nicht, überhaupt dachte ich nicht. Ich blickte mich etwas um und entdeckte im Regal ein rundes Goldfischglas, in dem ein kleiner Fisch schwamm. Nur der Fisch und Wasser waren darin. Das Tier sollte es wohl nicht gemütlicher haben als sie selbst. Ich klopfte an das Glas, hielt meinen Finger in das Wasser. Der Fisch umschwamm ihn, wie Kinder um Maibäume tanzen. Ich hätte dieses Tier stundenlang anstarren können, doch dann öffnete sich die Badezimmertür und Kate trat heraus, gehüllt in eine langes, rotes Kleid. Es war roter Samt – blutrot – und ich wusste wer sie war; es durchfuhr mich, als sie mir in die Augen sah.

Sie sagte nichts, setzte sich zu mir und starrte an die Wand. Das Wasser kühlte meinen Finger. Ich war nicht fähig ihn herauszuziehen. Die andere Hand lag auf dem Bett und Kate umfasste sie mit ihren eiskalten Händen. Ich hörte es, vielleicht kam es aus ihrer Stereoanlage, vielleicht existierte die Musik nur in meinem Kopf. Doch ich hörte es klar und deutlich; gediegenes Moll, die Seufzer, mein Requiem. Es war ein schönes Gefühl, das meinen Körper durchströmte. Ein Gefühl, das ich noch nie zuvor gespürt hatte. Liebe, Erlösung – ich wusste es nicht zu sagen.

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