Ich bestellte mir gerade einen Drink in der Hotelbar. Nach dem verpatzten Geschäftsessen konnte ich einen Cognac gut gebrauchen. Ich war schon oft hier gewesen und immer lief es gut, hatte mein unschlagbares Gewinnerlächeln aufgesetzt, mein Gesicht mit überaus charmanter Selbstsicherheit glattgestrichen, mein Haar mit lässiger Coolness gegelt. Den Erfolg hatte ich bereits beim Aperitif in der Tasche und badete darin nach dem Dessert – ziemlich oft mit einer ziemlich schönen Frau. Diese Aktion würde mich meinen Job kosten und ein ordentlicher Rausch war genau das, was ich an diesem Abend noch auf die Reihe kriegen würde. Ich orderte die Drinks und blätterte fern jeglicher Gedanken in einer Sportzeitschrift.
Die Beschallung war grässlich, dahinvegetierende Fahrstuhlmusik. Diese Art von Jazz, der mit seinem poppigen Lady-Gaga-Charme ein musikalisches Hirn in den Alkohol treibt – und der kam auch noch aus Bose-Boxen.
Marc war bereits auf dem Zimmer. Er weiß genau so gut wie ich, dass ich es verbockt hatte. Diese Gewissheit und die Tatsache, dass wir seit einer halben Ewigkeit befreundet sind, löst in ihm wohl gerade eine Gefühlsschaukel zwischen Euphorie und einer Note Wehmut aus. Weiß Gott, er kann nichts dafür, that’s business. Zu dieser Erkenntnis wird er gelangen, sobald er die Minibar geleert hat. Morgen werden wir gemeinsam Frühstücken und abreisen, uns die Hände reichen und so tun, als wäre nichts gewesen. Übermorgen werde ich meinen Schreibtisch für ihn räumen.
Diese Musik! Ich bin sehr sensibel, was einen schlechten Soundtrack betrifft. Pentatonischer Sing Sang wäre zumindest ehrlich, wenn auch nicht passend für meine eigene Situation gewesen. Ich glaube jede Situation verdient ihren ganz eigenen Soundtrack und zu meiner wäre nun ein Requiem recht, um mein Selbstmitleid wirkungsvoll in Cognac zu ertränken.
Auf die meisten meiner Situationen passt Rory Gallagher. Er ist mein persönlicher Soundtrack-Mann. Nur mit einem richtigen Soundtrack lassen sich die Momente wirklich auskosten, auch die schlechten. Als ich das erste Mal mit Nina geschlafen hatte, war es natürlich „Tattoed Lady“ (wegen der vielleicht nicht gerade einfallsreichen aber überaus erotischen Tatöwierung in Form einer Sonne auf ihrem Steiß).
Ich lehnte mich zurück, goss mir den Cognac die Kehle hinab, gurgelte ihn still, vielleicht auch etwas lauter und summte in meinem Kopf die Melodie von „Too much Alcohol“, den Soundtrack für den restlichen Abend, der in Endlosschleife durch meinen Kopf surrte. Vielleicht sang ich auch und vielleicht spielte ich mit zugekniffenen Augen und einer Zigarette zwischen den angespannten Lippen das Riff dieses endlos geilen Songs. Aber wer weiß das schon.
Obwohl die Musik recht laut war, durchdrang ein Geräusch diese gurgelnde Saxofon-Wolke (ich konnte Saxofone noch nie leiden). Wie Metall auf Marmor. Es war das Klackern hoher Pfennigabsätze, das den Raum füllte und alle anderen Geräusche für mich ausblendete.
Die Eiswürfel, die der Barkeeper einfüllte, glitten ohne gläsernes Klirren in das Cocktailglas. Die sich unterhaltenden Menschen wurden zu stummen asiatischen Fischen (kleinen Kois wenn man so will), die blubbernd ihre Lippen bewegten, doch es kam nichts heraus. Allein der Hall ihres Gangs erfüllte meine Ohren und setzte sich darin zu einer lieblichen Melodie zusammen, übertünchte die Fahrstuhlmusik.
Meine Schwester meinte einmal spöttisch, dass ich auf das Geräusch von hohen Absätzen geprägt worden sei, zumal, wenn lange filigrane Beine darin steckten. Vielleicht hatte sie recht, lange Frauenbeine in Pumps sind nicht zu verachten. Aber diese Frau war mehr als ein lässiger Blick, der haften blieb. Sie hatte einen Gang, als würde sie da, wo sie herkommt, nie wieder hingehen. Als würde sich ein Meer vor ihr teilen und hinter ihr alles verschlucken und mit sich in die ewigen Tiefen reißen, als wäre es nie gewesen. Unheimlich. Beinah.
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